Jens Spahn hat sich weit aus dem Fenster gelehnt: Er sieht gute Chancen, Krebs in 10-20 Jahren besiegt zu haben. Fachleute sind sich einig, dass das leider nur ein frommer Wunsch ist. Das wird so sicher nicht eintreten. Ein Expertenkommentar von Prof. Dr. med. Norbert Frickhofen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist sich sicher, das Krebsleiden soll irgendwann heilbar sein.

Die Behandlung und Heilung lässt sich nicht mit den Erfolgen von HIV gleichsetzen

Der Gesundheitsminister ist über die z.T. heftigen Reaktionen überrascht und relativiert den Begriff „besiegen“ durch „beherrschen“. Er zieht Parallelen zu AIDS: „Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass die Lebenserwartung mit einer gut behandelten HIV-Infektion so hoch sein kann wie ohne Infektion?“ (Zitate des Tagesspiegels, 04.02.19).

Warum bewerten Fachleute die Situation anders? Weil Krebs sehr viel komplexer ist als eine HIV-Infektion. Das HI-Virus ist ein Infektionserreger, der den Organismus von außen befällt. Das Virus ist in allen Details verstanden. Es ist zwar wandelbar, hat aber nur begrenzte Möglichkeiten, sich zu verändern. Sobald man das verstanden hatte, konnte man erfolgreich Strategien gegen das Virus entwickeln. HIV hat heute in den industrialisierten Ländern seinen Schrecken verloren.

Krebs ist ganz anders: Die meisten Krebserkrankungen des Erwachsenen entstehen über einen Zeitraum von 20-30 Jahren durch zunächst schleichende Veränderungen des Erbguts (Mutation der der Gene). Die ersten Mutationen sind noch vergleichsweise harmlos. Im Verlauf eines Lebens kommen jedoch viele tausend Mutationen hinzu. Wenn sich eine Kombination von Mutationen ergibt, die der betroffenen Zelle einen Wachstumsvorteil im Körper verschafft, entsteht eine lebensbedrohliche Krebserkrankung.

Es handelt sich dann aber nicht um „den Krebs“. Vielmehr besteht ein durch heutige Methoden erkennbarer Krebs aus einer bunten Mischung aus Krebs-„Klonen“ mit ganz verschiedenen Eigenschaften. Den Studenten illustriere ich das, indem ich den Krebs mit den Orks aus dem Herrn der Ringe vergleiche und nicht mit den geklonten Stormtroopern aus Star Wars.

Die Heilungschancen werden niemals auf alle Arten von Krebs zutreffen

Experten freuen sich natürlich darüber, dass man Krebs immer besser versteht und dass man Patienten mit einzelnen Erkrankungen wie dem schwarzen Hautkrebs auch im weit fortgeschrittenen Stadium heilen kann. Aber das sind bisher Ausnahmen. Von den modernen zielgerichteten Medikamenten oder der Immuntherapie profitieren heute nur 10-30% der Patienten. Manche Krebsformen sprechen immer noch überhaupt nicht auf die modernen Medikamente an. Das wird besser werden, aber niemals auf alle Arten von Krebs in gleicher Weise zutreffen.

Dem liegt zugrunde, das kein Krebs  wie der andere ist. So liegen z.B. zwischen einem Brust- oder Prostatakrebs und einem Lungen- oder Speiseröhrenkrebs Welten. Sie werden durch völlig andere Mechanismen angetrieben und ihre Behandlungen sind radikal unterschiedlich.

Realistisch wäre es gewesen, wenn Jens Spahn die tatsächlich großen Fortschritte begrüßt und wie 1971 Richard Nixon den „Kampf gegen den Krebs“ aufgerufen hätte. Das hat bis heute in den USA fast 100 Mrd. US-Dollar in die Krebsforschung geleitet. Ein Sieg über „den Krebs“ in 10-20 Jahren zu prognostizieren ist aber nicht nur falsch, sondern weckt Hoffnungen, die sicher nicht erfüllt werden.

 

Foto: Bundesministerium für Gesundheit, Pressefoto

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Autor Fachkommentar

Prof. Dr. med. Norbert Frickhofen

Fachgebiete
Innere Medizin
Hämatologie
Onkologie
Palliativmedizin

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